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Als du fortgingst, war die Straße leer
Eine Erinnerung an den Palast der Republik
Ingeborg Ruthe
Dreißig Jahre sind kein Alter. Nicht für ein Haus. Dieses hätte hundert Jahre und länger an der Spree stehen können; nicht ausnehmend schön, aber solide genug gebaut aus Marmor, Stein und Eisen. Aber auch aus Asbest, der wurde in den 90ern entsorgt, danach war die Palastluft rein. Der Dreck, das Ruinöse sind erst übers Volkshaus gekommen, als man es schmähte, als man es ausgeweidet und schließlich aufgegeben hat - gegen alle Künstler-Aktionen und deren massenhaftes Publikum, wider alle Proteste aus Ost und immer lauter auch aus West.
Rettung schien möglich, die Politik entschied aber anders. Was zuletzt noch geblieben war - das Skelett und die braunen Glasscheiben - hat seine Schuldigkeit getan. Dieser Rest muss nun gehen, weil eine disneyhafte Schlossfassade her soll, eine, die ans von Ulbricht gesprengte Hohenzollernschloss erinnern soll. Irgendwann. Wenn überhaupt. Wenn Geld da ist. Derweil wird viel Gras wachsen über die Abbruchstelle, auf der "Erichs Lampenladen" einst gestanden hat.
Diese Bezeichnung für den 1976 eröffneten und von zig Leuchten - in Kronleuchter- und Pusteblumenform - durchzogenen Palast der Republik gehörte zum Wortwitz, made in DDR. Landauf, landab lästerte man: "Weißt du, warum es auf dem Berliner Marx-Engels-Platz (heute Schlossplatz) so scheppert und klirrt?" Antwort: "Weil Honecker dort das Geld aus dem Fenster wirft." So hörte sich das Vorurteil gegen den Volkspalast, auch gern "Palazzo Protzo" - oder Sächsisch "Ballast der Republik" genannt - an. Umso mehr, als Betriebe aus der ganzen DDR zum Zuliefern und Mitbauen vergattert waren, während in Halle, Leipzig und Dresden, Erfurt und Quedlinburg die historische Architektur dramatisch verfiel.
In den ostdeutschen Provinzen von Kap Arkona über den Fichtelberg bis zum Rennsteig regte sich heftiger Berlin-Neid. Der Palast kostete Devisen, der Rest der Republik fürchtete Südfrüchte-Entzug. Und das Zentralkomitee Unruhe. Zu der Zeit bekamen viele Bezirkshauptstädte ihre Stadthallen, kleine Brüder vom zentralen Haus der Feste und Feiern. Man wollte Ruhe haben für die Berliner "Schaustelle". Tatsächlich wurde dieser Begriff nicht erst fürs Hauptstadt-Marketing der Nach-Wende-Zeit erfunden. Beim Bau des Palastes gab es täglich Führungen fürs Volk, das Ereignis gelangte republikweit in die Brigadetagebücher.
Feiern war das Stichwort im Palast, wo Hostessen Besucher verwöhnten. Im Großen Saal gab es Sportbälle und den Ball der Werktätigen - mit guter Musik, gutem Essen und bedenklich viel Rotkäppchensekt. 60 Millionen Besucher kamen in all den Jahren. Viele erinnern sich nostalgisch der vornehmen, ausgelassenen, gemütlichen und preiswerten Stunden im Palast. Alte wie Junge tanzten, rollten die Bowlingkugeln. Das Bier, 60 Pfennig das Glas, floss durch Brigadekehlen, Rosenthaler Kadarka löste Weiberzungen bei Frauentagsfeten. 1 460 Gäste konnten in drei Palastrestaurants bewirtet werden, das Essen schmeckte nicht nach Kantine, so dass dem West-Opa die Roulade mit Thüringer Klößen für achtfuffzig Ost-Mark nicht mehr aus dem Kopf ging. Sogar eine Sauna gab es.
Das DDR-Volk, nach der Eröffnung auch mehr und mehr die vormaligen Palast-Gegner, machte sich das Volkshaus zu Eigen und ging geflissentlich, bisweilen humorig darüber hinweg, dass nahebei dem ganzen Feten und Feiern ein Parlament amtierte, das eigentlich keins war, sondern bloß langweiliges Papptheater. Im holzgetäfelten Volkskammersaal wurde pathetisch Funktionärsdeutsch geredet und Befohlenes als einhellig Beschlossenes verkündet. Das Parlament war bekanntlich eine Farce, der Ort erst in jenem Moment einmal geschichtsbildend, als die letzte Volkskammersitzung der DDR deren Ende besiegelte und sich in die Fußnoten der deutsch-deutschen Historie verabschiedete. Das war im Sommer 1990.
In den tausenden Quadratmetern der Festsäle und Restaurants, des TiP-Theaters, das Heiner-Müller-Stücke aufführte, der Galerien und des Foyers mit der "Gläsernen Blume", die das DDR-Fernsehen als Pausenzeichen zwischen Wetterbericht und Aktueller Kamera sendete, ging es oberflächlich ideologisch zu, etwa bei den Bestarbeiter-Bällen und Parteitags-Empfängen, wenn die Parteiführung Orden austeilte. Viel öfter aber ging das eingemauerte DDR-Volk in dieser "Herberge zur irdischen Glückseligkeit" (FAZ) auf Reisen und war wenigstens für einen Abend weltbürgerlich, denn auf der Konzertbühne gastierten Harry Belafonte und Karel Gott, Boney M. und Mireille Mathieu, Gilbert Bécaud und Katja Eb-stein, Miriam Makeba und sogar Udo Lindenberg.
Nirgendwo werden Ragout fin und Hawaii-Schnitte wieder so schmecken wie im Palast. "Was haben wir flambiert!", schreibt Jutta Voigt ironisch in ihrem Buch "Der Geschmack des Ostens" über die Palast-Gastronomie. Das Haus war nicht nur das teuerste Bauwerk in der Geschichte der DDR, in dessen Foyer winters ein Kirschbaum blühte; es stellte auch die größte Gönnergeste des Staates dar, denn in diesem Refugium herrschte kein Mangel, nicht an Früchten, nicht an Wein. "Der Palast", so Voigt, "war ein Geschenk des schlechten Gewissens, der Ausgleich für Intershop, Genex-Unternehmen und Mauer."
Gerade darum aber ist es nun vorbei mit dem Palast, mit dem Rocken "für den Frieden" und dem Sich-Amüsieren beim "Kessel Buntes" oder mit den Konzerten von Sinfonieorchestern aus Paris, Oslo und Alma-Ata. Kein Hochzeitspaar wird sich mehr auf den Sofas küssen und unter der gläsernen Blume fotografieren lassen. Aber auch kein Maler wird sich noch mal derart den Pinsel verrenken müssen, um scheinbar unideologisch für die (mittlerweile im Depot des Deutschen Historischen Museums versenkte) Palast-Galerie zu malen - unter dem Motto "wovon Kommunisten träumen".
Am Abend des 9. November 1989 gab es auf der großen Bühne im Palast eines der beliebten Klassik-Rock-Konzerte. Nur versteckt bezogen sich die Lieder auf die Situation im Land, dem die Jugend über die ungarisch-österreichische Grenze davonlief. Dirk Michaelis sang "Als du fortgingst war die Straße leer .", den heute gefeierten metaphorischen Wendesong. Das war gegen 22 Uhr; zwei Stunden später war die Grenze offen, Berlin-Ost und Berlin-West trafen sich auf der Bornholmer Brücke. Im Palast der Republik räumten Techniker die Bühne ab. Nicht zum letzten Mal - es gab noch etliche Konzerte, bei längst nicht mehr so vollem Saal. Ganz allmählich gingen die Lichter aus, es dauerte Jahre, in denen der Palast zur Ruine wurde. Nicht durch Waffen oder den Zahn der Zeit, nur durch Schlecht-Reden. Dabei hätten wir ihn ganz gut weiter ertragen, ja sogar gewollt - Kunstaktionen, noch bis zuletzt im Großen Saal und im Plenarsaal, zeigten: er taugte als grandiose Kunsthalle. Bald wird der Palast verschwunden sein. Und was weg ist, kommt nicht wieder.
Berliner Zeitung, 11.2.2006
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/525042.html
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